Die Grundlage der mikrobiologische Therapie ist das Mikrobiom – ein Begriff, der erst in den letzten Jahren konkretisiert wurde. Mikroben, das waren immer unsere Feinde und wir begegnen ihnen mit Antibiotika.
Heute wissen wir, es gibt natürlich pathogenen Keime, die Krankheit verursachen, aber von weit größerer Bedeutung für unseren Organismus sind die Symbionten, die Keime, deren Arbeit unser Überleben ermöglicht. Sie schützen uns, trainieren unser Immunsystem, übernehmen hormonelle Funktionen und vieles mehr. Die Forschung steckt hier noch in den Kinderschuhen.
Was ist das – ein Mikrobiom?
Die Entdeckung des menschlichen Mikrobioms könnte man gleichsetzen mit der Entdeckung eines ganzen Organs, ohne das wir nicht lebensfähig wären. Das Mikrobiom ist die Summe aller Mikroorganismen, die ein Lebewesen besiedeln – in Summe ca. 3 kg pro Mensch.
Seit dem Humangenomprojekt in den 90er Jahren ist bekannt, dass wir Menschen erstaunlicherweise nur aus 22000 Genen bestehen – das ist nicht wesentlich mehr als bei einer gewöhnlichen Hausmaus. Erwartet hatte man mehr als 100.000 Gene. Wie konnte das sein? Was macht uns Menschen denn dann so komplex? Mittlerweile werden unsere bakteriellen und viralen Mitbewohner für unsere Kmoplexität verantwortlich gemacht. Die in uns lebenden Bakterien enthalten rund hundert Mal so viele Gene wie unsere menschlichen Chromosomen! Wir bestehen mehr aus ‚fremden‘ Genen, als aus eigenen… Wer also sind ‚wir‘? Wer bestimmt unser Handeln, unser Denken, unsere Emotionen – unsere Gesundheit? Wo ist die Grenzen zwischen uns und unseren Bakterien?
Die meisten unserer Mitbewohner befinden sich auf unserer Haut, den Schleimhäuten und vor allem in unserem Darm. Diese innere Kontaktfläche zur Außenwelt entspricht mit ca. 500-800 Quadratmetern ungefähr dem Hundertfachem unserer Hautoberfläche. Rund 100 Billionen Bakterien besiedeln unsere Darmoberfläche. Ihre Zusammensetzung verändert sich ja nach Lebensalter, Lebens Situation und Ernährung.
Wie entsteht unser Mikrobiom?
Bis vor ein paar Jahren dachte man noch, dass ein Baby im Mutterleib steril heranwächst. Man ging von einer keimfreien Plazenta aus und war der Annahme, dass die bakterielle Besiedlung erst mit dem Weg durch den Geburtskanal beginnen würde. Mittlerweile weiß man aber, dass der Fötus schon im Bauch der Mutter über die Blutbahn besiedelt wird. Mit der natürlichen Geburt nimmt das Baby dann eine Reihe weiterer Bakterien (vor allem Laktobazillen) aus der Scheidenfora der Mutter und der Besiedlung des Enddarms mit. Ob ein Kind natürlich oder per Kaiserschnitt geboren wird, entscheidet somit maßgeblich die bakterielle Zusammensetzung in seinem Darm. Ein weiterer wichtiger Grundstein in der individuellen Mikrobiom-Entwicklung ist die Muttermilch. Über einen neu entdeckten Transportweg werden Bakterien aus dem mütterlichen Darm in die Brustdrüse transportiert und von dort an den Säugling weitergegeben. Im Darm des Kindes angekommen übernehmen sie u.a. immunmodulierende Aufgaben, fördern die Abwehr pathogener Erreger und beeinflussen positiv das Miteinander zwischen Körperzellen und Bakterien. Bereits nach einer Woche hat das Neugeborene schon mehrere hundert verschiedene Mitbewohner, die sich ständig vermehren. Mit zunehmendem Alter und dem Wechsel auf feste Nahrung kommen immer wieder neue Spezies dazu, während andere verschwinden. Wie dynamisch dieser Prozess ist, variiert stark von Mensch zu Mensch, ist auch ernährungs-, wohnort- und rassenabhängig. Generell gilt, dass Kinder, die per Kaiserschnitt zur Welt kommen und nicht gestillt werden, ein weniger vielfältiges Mikrobiom aufweisen und wesentlich anfälliger sind für entzündliche und allergische Erkrankungen.
Welche Wirkung haben unsere Darmmikroben?
Unserer Darmmikrobiom hat veschiedene Funktionen. Zum einen soll unsere Schleimhaut möglichst lückenlos von ‚guten‘ Bakterien besetzt werden, um pathogenen Erregern keine Angriffsfäche zu bieten. Zum anderen modulieren sie unser Immunsystem, sie sind stoffwechselaktiv, wichtig bei der Vitamin- und Hormonsynthese, schließen unverdauliche Nahrungsbestandteile auf und regulieren den intestinalen pH-Wert.
Das Mikrobiom scheint einen Einfluss auf unser zentrales Nervensystem zu haben. In Tierversuchen hat man keimarme Mäuse mit normal bakteriell besiedelten Mäusen verglichen. Das Resultat waren neben gravierenden Keimarme Mäuse zeigten neben immunologischen Defiziten eine erstaunliche Veränderung im Sozialverhalten gegenüber normal bakteriell besiedelten Mäusen. Sie waren wesentlich ängstlicher, zurückgezogener und depressiver.
Unser Mikrobiom scheint sich auf die Kommunikation zwischen den Nervenzellen in unserem Darm und den Nervenzellen in unserem Gehirns auszuwirken. Wie eng diese beiden Nervensysteme miteinander verknüpft sind, sieht man auch deutlich bei autistischen Patienten – ihr Mikrobiom weist gravierende Veränderungen auf! Auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten können sich durch Kopfschmerzen, Depressionen oder Reizbarkeit bemerkbar machen. Diese Verbindung nennen wir heute „brain-gut-Achse“.
Anzahl und richtige Zusammensetzung unserer ‚Mitbewohner‘ ist also Voraussetzung für unsere körperliche wie seelische Gesundheit. Heute wissen wir: je artenvielfältiger und umfangreicher unser Mikrobiom, desto besser!
Eine sehr wichtige Funktion der Mikroben ist der schleimhautschützende Effekt. Ein Bioflm aus Bakterien und Schleim überzieht die Innenseite unseres Darmes und sorgt dadurch für eine schützende Barriere zwischen Darmlumen und Epithelzellen. Ist die Integrität dieses Bioflms gestört, kann es zu dem Phänomen eines ‚löchrigen Darms‘ (sogenannten leaky gut) kommen.
Neben potenziell Mikrobiom-schädigenden Faktoren wie Ernährung oder Stress, leben wir in einer Umwelt, die sich ständig um Keimbeseitigung in Form von Desinfektion und Antibiosen sorgt. Die Folgen der zerstörten Grenzfläche unserer Darmschleimhaut sind vielfältig: Asthma, Heuschnupfen, Neurodermitis, Hautausschläge, Unverträglichkeiten, Allergien ebenso wie Diabetes Typ 2, Rheuma, multiple Sklerose und viele andere Autoimmunerkrankungen.
Leaky Gut – Folge eines geschwächten Mikrobioms
Voraussetzung für diese erhöhte Durchlässigkeit ist immer eine Schädigung der Schleimhautschicht, die wiederum von der Qualität des Mikrobioms abhängt. Die Epithelzellen im Darm sind mit sogenannten tight junctions („engen Verbindungen“) miteinander verbunden. Diese Kittleisten können den Zellzwischenraum vollständig abdichten, damit der Darminhalt nicht ins Körperinnere diffundiert. Diese Verbindungen sind jedoch keine starren Gebilde – auf bestimmte Signale hin können sie ihre ‚Türen öffnen‘ und damit die Durchlässigkeit erhöhen. Das ist zum Beispiel dann besonders wichtig, wenn Toxine oder Fremdorganismen den Darm erreicht haben und möglichst schnell wieder hinaus gespült werden sollen, was wir dann als Durchfall erleben. Dafür müssen sich diese Kittleisten lockern können, um möglichst viel Flüssigkeit aus dem Gewebe ins Darmlumen fließen zu lassen. Auch während der Schwangerschaft oder in Zeiten extremer körperlicher Belastung findet man eine physiologisch erhöhte Permeabilität, um den gesteigerten Bedarf an Nährstoffen zu decken. Wenn dies jedoch dauerhaft geschieht und keiner gesunden Regulation mehr unterliegt, kann es zu unterschiedlichen Erkrankungen kommen. Die geöffneten tight junctions haben dann ihre Abdichtungsfunktion weitgehend verloren und lassen nun Toxine, Nahrungsmittelbestandteile, Viren etc. ungebremst in unser Gewebe passieren. Unser Körper wehrt sich – er reagiert. Folgen sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Reizdarm, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, bis hin zu Krankheitsbildern, die man nicht primär mit dem Darm in Verbindung bringen würde. Alle Stoffe, die ungefltert in den Organismus gelangt sind, werden entweder im Gewebe eingelagert, was Rheuma oder Fibromyalgie auslösen kann. Oder der Körper versucht sie über die Lymphbahnen und die Haut wieder loszuwerden – die Folgen können juckende Hautausschläge sein. Oder es gelangt eben über die Pfortader in die Leber, die jedoch auch irgendwann mit ihrer Entgiftungsleistung am Ende ist, was zwar keinen Schmerz verursacht, uns aber in ständige Müdigkeit stürzen kann. Wie lange ein Organismus das kompensieren kann, ist natürlich eine Frage der Dauer und des Ausmaßes von Darm-Durchlässigkeit, Ernährungsweise, Konstitution, individueller Regulationsfähigkeit etc.
Therapie
Die Mikrobiologische Therapie stellt in meiner Praxis eine Basistherapie dar. Die Folgen eines geschwächten Darmes sind so weitreichend und vielfältig, dass nahezu jedes Krankheitsbild von einer mikrobiologischen Therapie proftiert.
Zu den Hauptindikationen zählen unter anderem
- Neurodermitis
- Nahrungsmittelunverträglichkeiten
- Allergien
- Atemwegserkrankungen
- chronische Infekte des Urogenitalbereichs wie Vaginalinfektionen oder Blasenentzündungen
- intestinale Störungen wie Obstipation,Durchfallerkrankungen oder Reizdarmsyndrom
- chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Abgesehen davon sollte sich jede Schwangere um eine gesunde Mikrobiota in ihrem Darm kümmern, um den Grundstein für ein intaktes Immunsystem ihres Babys zu legen – das gilt vor allem bei einer allergischen Disposition der Eltern.
Auch begleitend zu schulmedizinischen Therapien wie Antibiosen oder Chemotherapie ist es wichtig, den Organismus mit guten Bakterien zu versorgen. Antibiotika töten Bakterien ab – zwischen ‚böse‘ und ‚gut‘ unterscheiden sie nicht. Nach einer antibiotischen Therapie hat sich die Anzahl pathogener wie symbiontischer Erreger minimiert, auf der Schleimhaut ist wieder Platz, und die Gefahr, dass pathogene, aggressive Erreger (Bakterien, Pilze, Parasiten) diese Lücken besiedeln, ist groß. Hinzu kommt, dass bei abnehmender Zahl immunmodulierender Bakterien auch die Funktion unseres Immunsystems leidet. Deshalb kommt es nach Antibiosen vermehrt zu rezidivierenden Infekten, die wiederum in einer erneuten Antibiotika-Gabe enden – ein Teufelskreis, der unbedingt durchbrochen werden muss.
Zu den mikrobiologische Präparate zählen Prä- und Probiotika. Probiotika enthalten lebensfähige Bakterienstämme wie etwa Milchsäurebakterien. Es gibt aber auch Stämme, die sich nicht einfach im Labor anzüchten lassen. Dafür wurden präbiotische Präparate entwickelt, die die richtige Nahrung enthalten um diese Bakterien zu stärken und ihre Vermehrung zu unterstützen. Beide Präparate werden in der Regel als Pulver oder Kapsel oral eingenommen. Die Therapiedauer beträgt, abhängig vom Beschwerdebild, mindestens 3-6 Monate. Eine mikrobiologische Therapie beinhaltet natürlich auch einen bewussten Umgang mit Art und Qualität unserer Nahrung. Mit unseren Ernährungsgewohnheiten beeinflussen und formen wir unser Mikrobiom ständig.